Meine persönliche Erklärung zur Abstimmung zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken

28. Oktober 2010 | Bundespolitik | 
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese heutige Abstimmung über die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ist keine normale Abstimmung. (Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Das merken wir!) Deshalb möchte ich eine kurze persönliche Erklärung abgeben. Ich hatte das Glück, nicht direkt neben einem Atomkraftwerk aufzuwachsen, und ich habe das Glück, nicht neben einem Atomkraftwerk zu leben. Aber ich kämpfe seit 1979, seit den großen Demonstrationen in Gorleben und Hannover, gegen die Atomenergie. Dieser Kampf war entscheidend für meine politische Bewusstseinsbildung und für meinen beruflichen Werdegang, zuerst als Wissenschaftlicher und jetzt als Politiker.

All das, wofür ich in den letzten 30 Jahren gekämpft habe, versuchen Sie von der Koalition jetzt kaputtzumachen. Sie versuchen, einen der größten Fortschritte der Menschheit   einen der größten zivilisatorischen Fortschritte hätte es wahrscheinlich Hermann Scheer genannt   wieder zurückzunehmen, nämlich den friedlichen Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie.
Die Wirkung dieses Ausstiegs vor zehn Jahren nach innen und außen war kaum zu überschätzen. Der Atomausstieg hat den Menschen in aller Welt Mut gemacht. Das habe ich selbst immer dann erfahren, wenn ich im Rahmen meiner Arbeit mit Menschen zusammengekommen bin. Der Atomausstieg hat allen Menschen Mut gemacht, daran zu glauben, dass ein Leben ohne die Schrecken der Atomkraft möglich ist. Plötzlich war da eine Alternative zu dieser Monstertechnologie. Diese Hoffnung der Menschen in aller Welt wird von der Koalition heute enttäuscht, wenn nicht gar zerstört.
(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): „In aller Welt“?)
Auch die Wirkung auf uns war gewaltig. Der Atomausstieg hat bei uns und bei vielen anderen gesellschaftliche Kräfte freigesetzt. Sie hat die Kreativität der Menschen gefördert und die Innovationsfreude im Bereich der Industrie befeuert. Viele Arbeitsplätze wurden geschaffen, die Sie heute aufs Spiel setzen. Was besonders verstörend ist, ist, dass Sie das völlig ohne Not tun. Es gibt keinen sachlichen Grund für die Verlängerung der Laufzeiten; mein Vorredner und viele andere haben schon darauf hingewiesen. Der einzige Grund für die Verlängerung sind die Profitinteressen einiger großer Unternehmen und die damit zusammenhängende Gier von Managern und anderen Profiteuren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Für die Menschen im Land ist diese Laufzeitverlängerung ein weiterer Schlag ins Gesicht. Die Bundesregierung setzt ihre Interessen ohne Rücksicht auf Verluste zum Schaden der Menschen jetzt und zum Schaden der Menschen, die in hunderttausend Jahren leben, durch.
Deshalb mein Petitum   das entspricht dem, was viele andere vor mir gesagt haben  : Überdenken Sie Ihre Entscheidung, die Sie heute und hier treffen, vor dem Hintergrund Ihrer Biografie und Ihrer persönlichen Erfahrung.
(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Das müssen Sie uns überlassen! Sie können für sich sprechen!)
Heute Morgen war ich vor der Sitzung in der Andacht. Ich habe versucht, die Entscheidung, die vor allen Dingen Sie heute treffen, in ihrer ganzen Wucht auf mich wirken zu lassen. Ich bin zu diesem Schluss gekommen: Wenn Sie von der Christlich Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union den Auftrag, der sich aus Ihrer christlichen Überzeugung ergibt, ernst nehmen, dann müssen Sie heute gegen die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke stimmen. Ich gelobe an diesem Ort und an dieser Stelle, dass ich das tun werde. Ich werde dafür kämpfen, dass das wieder rückgängig gemacht wird. Das wird eine der ersten Amtshandlungen der nächsten Bundesregierung sein.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)