Seit mindestens einem Monat wird unter den Regierungen der Eurozone über die effizientere Nutzung oder Hebelung der EFSF diskutiert. Doch im
Parlament unterdrückte die Koalition jedwede inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Vorschlägen mit dem Erfolg, dass nun zwischen einer ersten Information der Bundesregierung und der Entscheidung im Plenum nur etwa 24 Stunden liegen. So etwas darf sich ein Parlament nicht gefallen lassen.
Es ist richtig, dass nun das Plenum des Bundestages diese Entscheidung trifft. Die Regierungsfraktionen greifen damit die Forderung aus dem Antrag der Grünen Bundestagsfraktion auf, den sie vor vier Tagen noch abgelehnt haben. Die Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten der EFSF, indem zusätzliche Investoren hinzugenommen werden, verändert grundlegend den Umgang mit den vom Bundestag gewährten Garantien. Sie vergrößert die Schadenshöhe für den Bundeshaushalt entscheidend, die im Falle einer Umschuldung oder einer Pleite eines Krisenstaates zu tragen wäre (Verlustquote bei Ausfall). Mitglieder der Bundesregierung haben sich zwar aus Angst vorWiderstand in den eigenen Reihen intensiv bemüht, dieses Faktum mit Hinweis auf die unveränderte Höhe des deutschen Garantierahmens von 211 Milliarden Euro zu verschleiern. Parlament und Öffentlichkeit wurden hier gezielt desinformiert, ja: getäuscht. Deswegen wurde regelmäßig von „Effizienzsteigerung“ gesprochen, um lediglich die positiven Aspekte des veränderten Ansatzes erkennbar werden zu lassen. Aber es gibt eine solche Effizienzsteigerung ohne eine Veränderung des Risikos nicht. Zudem haben führende Koalitionspolitiker eine Hebelung noch vor kurzem wortgewaltig abgelehnt. Sie müssen nun öffentlich erklären, warum sie ihre Meinung geändert haben, statt hinter verschlossenen Türen das zu beschließen, was sie öffentlich ausgeschlossen haben. Die Diskussion zur Hebelung ist damit ein Beispiel mehr für die vielen „roten Linien“, die ständig definiert und anschließend unter großem Vertrauensverlust in der Bevölkerung überschritten werden.
Die Ausweitung der EFSF-Kapazität ist dennoch grundsätzlich richtig. Die EFSF hat derzeit eine Kreditvergabekapazität von 440 Milliarden Euro. Davon gehen 46,5 Mrd. an Portugal und Irland. Mindestens 109 Milliarden Euro sind für Griechenland erforderlich. Zusätzlich werden Mittel für die Bankenrekapitalisierung gebraucht. Diese soll nach den derzeitigen Planungen 100 Milliarden Euro erfordern, von denen ein relevanter Teil, vielleicht 30 Milliarden Euro über den EFSF bereitgestellt werden müssen, weil weder die Banken selbst noch deren Sitzländer die Rekapitalisierung aus eigenen Mitteln aufbringen können. Damit ist klar: Die Kapazität der EFSF reicht bei der bisherigen Herangehensweise nicht, um neuen Herausforderungen zu begegnen. Zum einen ist es nötig, eine wirkliche Schuldenentlastung für Griechenland zu Lasten der Gläubiger umzusetzen, damit die Schuldenlast Griechenlands wieder tragfähig ist und das Land eine Entwicklungsperspektive bekommt.Wir haben dazu immer eine Orientierung an den Marktwerten gefordert, also derzeit etwa 60% Abschlag. Wenn man das umsetzen will, ist es nötig, mögliche Auswirkungen auf den Bankensektor in Griechenland selbst und in anderen Ländern und
gegebenenfalls auf die Märkte für Staatsanleihen weiterer Euro-Länder abfedern zu können. Eine Vorbedingung für eine wirkliche Umschuldung ist deshalb eine EFSF-Kapazität, die über dem heutigen Volumen liegt.
Zum anderen sind seit August diesen Jahres Spanien und insbesondere Italien im Fokus der Finanzmarktakteure. Die Zinsen in beiden Ländern sind gestiegen und konnten nur durch Käufe der Europäischen Zentralbank auf einem vertretbaren Niveau gehalten werden. Dabei sind insbesondere
bei Spanien mit einem Schuldenstand, der unterhalb dem der Bundesrepublik Deutschland liegt, kaum Zweifel an der Solvenz vorhanden. Die Krisendynamik setzt beide Länder dennoch der Gefahr einer Spirale aus steigenden Zinsen und sinkender Schuldentragfähigkeit aus, die ohne externe Hilfe in die Insolvenz führen könnte. Italien muss im Jahr ca. 380 Milliarden Euro refinanzieren. Allein diese Zahl macht deutlich, dass eine Ausweitung der EFSF-Kapazität nötig ist.
Deshalb stimmen wir zu, dass die Bundesregierung Verhandlungen über eine Ausweitung der Kapazität der EFSF mittels so genannter Hebelung führt und bringen das mit einer Zustimmung zum vorliegenden Entschließungsantrag zum Ausdruck. Richtig ist zwar, dass ohne die vielen Fehler und Verzögerungen, die gerade die Bundesregierung beim Krisenmanagement zu verantworten hat, wir vielleicht nie in die heutige Zwangslage gekommen wären. Richtig ist auch, dass alternative Wege der Stabilisierung der europäischen Finanzmärkte zur Verfügung gestanden hätten oder heute zur Verfügung stünden, wenn man rechtzeitig den Mut zu Vertragsänderungen gehabt hätte.Wir halten nach wie vor eine stärkere haushaltspolitische Koordinierung und die Einführung europäischer Anleihen (Eurobonds) für besser als den von den europäischen Regierungen derzeit beschrittenen Weg. Doch für die nächsten Wochen stehen diese Alternativen leider noch nicht zur Verfügung, weil insbesondere die erforderliche haushaltspolitische Kontrolle in den Mitgliedstaaten noch nicht vertraglich vereinbart wurde. Deswegen muss zunächst der bisherige Weg mit einer Ausweitung der EFSF-Kapazität weitergegangen werden. Und wenn der Bundestag der von den Marktakteuren erwarteten Ausweitung der EFSF-Kapazität seine Zustimmung verweigert, droht eine neuerliche massive Zuspitzung an den Finanzmärkten, die alles nur noch schwieriger und teurer machen könnte. Einmal mehr befindet sich die Politik in einer Zwangslage.
Tatsache ist aber auch, dass die Bundesregierung bislang auf knapp vier Seiten nur eine grobe Skizze möglicher Wege vorgelegt hat. Sie definieren einen Raum von Möglichkeiten, keine klare Perspektive der nächsten Schritte. Es ist zu befürchten, dass die darin vorgesehenen Varianten der Hebelung teurer und unstabiler sind als alternative Varianten, die von der Bundesregierung ausgeschlossen, aber im Bundestag nie kritisch verglichen wurden. Auch hat die Koalition eine von den Oppositionsparteien im Haushaltsausschuss geforderte Anhörung zur Klärung der Vor- und Nachteile
der verschiedenen Varianten abgelehnt. Teuer könnte die geplante Fonds-Lösung werden, weil den Kapitalmarktakteuren, die Risiken übernehmen sollen, dieses honoriert werden muss. Unklar ist auch, ob die diversen neu zu emittierenden strukturierten Finanzmarktprodukte zu einer Stabilisierung wirklich beitragen oder selbst Quelle von Unsicherheit werden können. Das gilt bei der Versicherungslösung insbesondere dann, wenn sich die Markteinschätzung über das Risiko so entwickelt, dass das abgedeckte Risiko nicht mehr ausreicht. Schließlich ist unklar, ob sich für die
verschiedenen Varianten wirklich Investoren finden lassen und ob nicht die Absicherung so großzügig ausgestaltet werden muss, dass die Hebelung relativ gering ausfällt und nur für wenige Monate Atempause verschafft. Klar ist jedenfalls, dass die Hebelung der EFSF nur Übergangslösung in eine
anders gestaltete stabilere Lösung sein kann und darf. Auch werden wir kritisch bewerten müssen, welche konkreten Maßnahmen nun auf der Grundlage der heutigen Zustimmung beschlossen werden.