Persönliche Erklärung gemäß § 31 GO-BT zur Abstimmung im Deutschen Bundestag über den Vertrag vom 2.3.2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion

29. Juni 2012 | Bundespolitik | 
von Wolfgang Strengmann-Kuhn, Monika Lazar, Hermann Ott, Arfst Wagner und Uwe Kekeritz:   Wir sind in einer dramatischen Situation. Die Krise, die mit der Finanzkrise 2008 begann verschärft sich. Die bisherigen Rettungsmaßnahmen waren nur Notmaßnahmen, die allerdings jeweils zu spät kamen und unzureichend waren. Der Zug der Eurorettung ging bisher an den Kernproblemen vorbei. Bei dem bisherigen Kurs wird sich die Situation weiter verschlechtern. Schlimmer noch: wir drohen vor die Wand zu fahren. Wir brauchen einen Richtungswechsel. Ohne einen Richtungswechsel ist eine Zustimmung zum Fiskalpakt ein großer Fehler und nicht zu verantworten.

 Auch in dem Länderratsbeschluss vom vergangenen Wochenende heißt es „Voraussetzung für eine Zustimmung zum Fiskalpakt ist, dass die Bundesregierung ihr Krisenmanagement korrigiert“.


Für uns ist ein solcher Richtungswechsel nicht zu sehen. Deshalb ist unsere Einschätzung, dass der Fiskalpakt die Krise verschärft und es droht die Gefahr, dass der Euro scheitert. Dem können wir als überzeugte Europäer nicht zustimmen.


Falsche Analysen führen zu falschen Diagnosen. Deswegen wäre für einen Kurswechsel zu allererst eine Veränderung der Analyse notwendig. Die Analyse, wir hätten eine Staatsschuldenkrise, ist falsch und greift zu kurz. Die Höhe der Staatsschulden ist zweifellos ein Problem und muss angegangen werden. Aber nicht die Staatsschulden alleine sind das Problem, so hat beispielsweise Spanien eine geringere Staatsverschulung als Deutschland, sondern die Gesamtverschuldung: des Staates, der Unternehmen, der Konsumentinnen und Konsumenten und nicht zuletzt der Banken. Das ökonomische Problem ist, dass diese Gesamtverschuldung mittlerweile ein vielfaches dessen beträgt, was produziert wird – übrigens auch bei uns.


Aber das ist nur die eine Seite des Problems: Wichtig ist zu verstehen, dass jedes Mal, wenn jemand Schulden macht, auf der anderen Seite ein Guthaben entsteht, also Vermögen. Wenn wir auf der einen Seite eine zu hohe Verschuldung, eine Schuldenblase, haben, gibt es auf der anderen Seite zu viel (Finanz-)Vermögen, eine Vermögensblase. Wir haben also nicht nur eine Schuldenkrise, sondern auch eine Vermögenskrise. Und dieses überschüssige Vermögen ist extrem ungleich verteilt. Es ist sogar soweit, dass die Werte der Ungleichverteilung des Vermögensmögens ein ähnliches Ausmaß erreicht haben wie vor der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er/ Anfang der 30er. Auch die Diskurse über Lösungen ähneln sich. So wurde in Deutschland mit einem strikten Sparkurs die Krise verschärft – mit bekannten politischen Folgen, während die USA mit dem New Deal von Roosevelt mit den drei Säulen Finanzmarktregulierung, Investitionen in Infrastruktur und nicht zuletzt einer Politik von mehr Umverteilung und sozialer Sicherheit einen Weg aus der Krise gefunden haben.


Zweitens brauchen wir sowohl einen Abbau der Schulden als auch eine Verringerung der Vermögensblase. Wenn auf der einen Seite Schulden, auf der anderen Seite Vermögen zu hoch sind, geht kein Weg daran vorbei gleichzeitig Schulden und Vermögen zu senken. Wenn die Schulden in einem Sektor abgebaut werden, aber dafür auf der anderen Seite entstehen, ändert sich an dem ökonomischen Problem nichts. Um die gleichzeitige Senkung von Schulden und Vermögen zu erreichen, sind im Grundsatz drei Wege möglich. Erstens ein Schuldenerlass wie er in Griechenland stattgefunden hat. Weitere Schuldenerlasse wären allerdings ein Problem, weil dadurch das Vertrauen in den Euro für jeweils weitere Länder sinken würde. Die Krise würde sich verstärken. Zweite Möglichkeit ist Inflation, durch die der Wert von Schulden und Vermögen gleichzeitig sinken würde. Auch das ist kein erstrebenswerter und ökonomisch riskanter Weg. Bleibt drittens: Abbau der Verschuldung durch Umverteilung. Deswegen der Grüne Vorschlag einer Vermögensabgabe, die zur Schuldentilgung verwendet werden soll. Damit sind die Grünen die einzige Partei, die einen konkreten Vorschlag zum Abbau der Schulden vorgeschlagen hat und fordern Vermögensabgaben auch in den anderen Europäischen Ländern.


Einen noch weiter gehenden Vorschlag, den die Grünen übernommen haben, hat der Sachverständigenrat für Wirtschaft gemacht. Sie schlagen einen Schuldentilgungsfonds vor, mit dem über einen langen Zeitraum die Schulden getilgt werden sollen, die über dem Maastricht-Kriterium von 60% des Bruttoinlandsprodukts liegen. Idealerweise sollte dabei nach unserer Meinung die Tilgung wieder durch eine Vermögensabgabe erfolgen, weil das der ökonomisch sinnvollste Weg wäre. Dadurch würde einerseits das oben beschriebene Problem der Vermögensverteilung angegangen und andererseits ein starkes Signal für einen Abbau der Schulen gesetzt, der Vertrauen schafft.


Ein solcher langfristiger Schuldenabbaupfad ist wesentlich wichtiger als eine Begrenzung der Neuverschuldung. Durch letztere werden ja die Schulden nicht reduziert. Im Gegenteil kann sich durch eine Begrenzung der Neuverschuldung die Situation sogar verschlimmern, wenn überwiegend auf der Ausgabenseite gekürzt wird und Investitionen unterbleiben, wie das zur Zeit in Griechenland, aber auch in der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren zu beobachten war. Dadurch wird der Abbau der Verschuldung verhindert und das Problem verschärft sich. Gerade in einer ökonomischen Krise ist dieser Weg fatal.


Drittens brauchen wir einen Green New Deal für Europa mit seinen drei Säulen Finanzmarktregulierung, Investitionen in Infrastruktur und einen neuer sozialer Ausgleich durch Umverteilung.  Eine Politik, die nur auf der Ausgabenseite spart, verschärft die Krise, die ähnliche Züge trägt wie die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren. Und auch diesmal wäre ein New Deal die richtige Antwort, der allerdings aufgrund der nicht zu vergessenen Probleme wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Energieversorgung eine ökologische Komponente haben muss, also ein Green New Deal sein muss. Dazu gehört erstens endlich eine Regulierung der Finanzmärkte, der Banken und die Austrocknung von Steueroasen, was alles in den letzten Jahren vernachlässigt wurde. So sind Banken immer noch „too big to fail“ und müssen schon wieder gerettet werden und reiche Griechen schaffen ihr Vermögen in die Schweiz, damit sie nicht besteuert werden können. Zweitens braucht es ein Investitionsprogramm in Infrastruktur, z.B. in Stromnetze, in Windräder, in Solaranlagen , um dadurch die Wirtschaft in den Krisenstaaten zu stärken. Drittens ist aber auch eine Politik für mehr Umverteilung notwendig. Neben der beschriebenen Vermögensumverteilung braucht es einen Aufbau bzw. eine Stärkung von Mindestsicherungsleistungen und der Sozialversicherungen und nicht einen Abbau.

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