Als überzeugte Europäerinnen und Europäer sind wir mit tiefer Sorge erfüllt um die Zukunft und Bestand des europäischen Einigungsprozesses: Noch nie zuvor befand sich die Eurozone und mit ihr die gesamte EU in einer so tiefen Krise, noch nie zuvor stand es um einzelne ihrer Mitglieder sowie um die Gemeinschaft insgesamt so ernst. Und noch immer ist eine nachhaltige Lösung dieser Krise nicht in Sicht, während das Krisenmanagement selbst immer mehr zum Mitverursacher der Krise wird, weil die Koordination vieler Regierungen zügige und klare Entscheidungen unmöglich macht. Die Zustimmung der Menschen zu dem schwierigen Prozess, gemeinsam in Europa einen Weg aus der Krise zu finden, nimmt in einer Reihe von Euro-Ländern ab. Grund dafür sind auch politische Fehlentscheidungen in der Sache, eine politische Kommunikation, die die Menschen gegen die
„Retter“ aufbringen muss und eine inakzeptable soziale Schieflage der Rettungsmaßnahmen. Die Aufforderung des Bundestags, den Richtlinien-Vorschlag der Kommission für die Finanztransaktionssteuer in den Gremien auf den Weg zu bringen, geht auf grünes Drängen zurück. Wird diese Steuer eingeführt, kann sie zu einer fairen Lastenverteilung beitragen.Weitere
Maßnahmen zur Korrektur der sozialen Schieflage in dieser Krise werden darüber hinaus nötig bleiben.
Fehler im Krisenmanagement haben auch dazu geführt, dass die Europäische Zentralbank immer mehr in die Rolle des Krisenmanagers der letzten Instanz gedrängt wurde. Es ist deshalb richtig, sie in Bezug auf die Käufe von Staatsanleihen aus dieser Rolle zu befreien - mithilfe einer Ausweitung des
EFSF-Kapazität. Falsch wäre es jedoch, sie dafür zu kritisieren, dass sie angesichts der Unfähigkeit der Regierungen auf dem Sekundärmarkt eingegriffen hat, um Schlimmeres zu verhindern. Ebenso falsch wäre es angesichts der großen Unsicherheiten über die weitere Entwicklung, für die Zukunft weitere Maßnahmen dieser Art aus ideologischen Gründen auszuschließen. Die europäischen Banken sind wichtigster Hinderungsgrund für eine mutige, echte und umfassende Beteiligung privater Gläubiger in der griechischen Schuldenkrise und andernorts und außerdem wichtigster Ansteckungskanal für ein Ausbreiten der Krise auf andere Länder. Hier zeigt sich, wie falsch es war, seit 2008 keine konsequente Stärkung der Kapitalbasis vorzunehmen und nach wie vor die Kapitalausstattung an der Kernkapitalquote zu messen, bei der Staatsanleihen aufgrund der Nullgewichtung überhaupt nicht eingehen. Gerade die Bundesregierung hat hier mit ihrer an wenigen deutschen Banken ausgerichteten Politik dazu beigetragen, dass heute erneut staatliche Rekapitalisierungsmaßnahmen bevorstehen. Dieser Fehler darf nun bei der Bankenrettung nicht
weitergeführt werden. Es ist falsch, mit einer stärkeren Kapitalausstattung bis Ende Juni 2012 zu warten. Ebenso falsch ist es, die Rekapitalisierung an den Kernkapitalquote auszurichten. Würden die Marktwerte der Staatsanleihen weiter fallen, würden die Kernkapitalquoten rapide fallen, sodass bald die nächste Rettung notwendig wäre. Nötig ist zumindest ergänzend eine Mindestkapitalausstattung im Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme, als ein ungewichtetes Maß (leverage ratio). Schließlich ist zu befürchten, dass viele Institute eigenständig nicht in der Lage sein
werden, die notwendige Eigenkapitalerhöhung durchzuführen. Sollte dann eine Rekapitalisierung mit Unterstützung der EFSF durchgeführt werden, würde das die jeweilige nationalstaatliche Schuldenquote erhöhen und so eine neuerliche Verschärfung der Staatsschuldenkrise verursachen –
so wie bereits in Irland die Inanspruchnahme der EFSF nur aufgrund der Bankenrettung erforderlich war.
Viele Menschen sind zu recht entsetzt, dass nach 2008 die Politik schon wieder bzw. immer noch von den Finanzmärkten getrieben ist. Die Spitzengehälter an der Wall Street sind so hoch wie vor Ausbruch der Krise, die Konzentration von Einkommen und Vermögen hat weiter zugenommen, die Banken sind größer denn je zuvor. Das widerspricht den Ankündigungen von vor drei Jahren. Es braucht daher einen neuen Impuls für eine grundlegende Neuausrichtung der Finanzmärkte. Die Bundesregierung lässt dies bisher vermissen. Wir Grünen fordern deshalb, endlich die Problematik
der Großbanken (too big to fail, too interconnected to fail) auch in Deutschland im Rahmen einer Kommission des Deutschen Bundestages systematisch anzugehen, damit Politik wieder in die Lage versetzt wird, die Regeln setzen zu können. Weitere Schritte, wie z.B. eine Regulierung des
Schattenbankensektors, müssen dazu kommen.