Die Mitglieder der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Enquete-Kommission halten den vorgeschlagenen „Wohlstandsindikatorensatz“ sowohl für die politische Kommunikation als auch zur politischen Steuerung für ungeeignet. Im Folgenden wird die ablehnende Haltung begründet sowie der Wohlstandskompass als Alternative vorgestellt.
Aus dem vorgelegten Bericht der Projektgruppe 2 geht nicht hervor, welche Strategie mit dem „Wohlstandsindikatorensatz“ verfolgt werden soll. Hierzu gibt es in der Einleitung des Berichts widersprüchliche Aussagen. Einerseits sollen sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Politikerinnen und Politiker ein stärkeres Bewusstsein für einen umfangreichen Wohlstandsbegriff erhalten. Andererseits wird versucht, alle Dimensionen mit dem Mittel von Hauptindikatoren, Warn- und Hinweislampen möglichst breit abzubilden.
Zurückzuführen ist diese Unklarheit auf einen Mangel an Zielsetzung in der Projektgruppe. Es wurde nicht festgelegt, welchen Zweck der vorgeschlagene „Wohlstandsindikatorensatz“ erfüllen soll. Soll dieser einfach, schnell erfassbar und vor allem öffentlichkeitswirksam oder eine umfassende Grundlage zur Abwägung politischer Entscheidungen sein?
Indikatoren werden auf zwei Ebenen genutzt: Die eine Ebene ist die der politischen Entscheidungsprozesse, die andere ist die der öffentlichkeitswirksamen politischen Kommunikation.
In der Politik werden Entscheidungen häufig anhand einer Vielzahl von Indikatoren gefällt. Es wäre verkürzt zu behaupten, dass in der Vergangenheit in einem Fachausschuss nur ein Indikator wie z.B. das Bruttoinlandsprodukt zur Entscheidungsfindung herangezogen worden sei. Vielmehr wurde und wird auch weiterhin eine ganze Reihe statistischer Messzahlen für sachorientierte Fachpolitik genutzt.
Daneben müssen sich Ergebnisse messen lassen und dem öffentlichen Diskurs zugänglich gemacht werden. Auch für die Öffentlichkeitsarbeit muss sich die Politik eines oder mehrerer Messinstrumente bedienen. Hierfür werden zur Komplexitätsreduktion repräsentative Indikatoren gewählt. Denn politische Leistung muss über längere Zeiträume und über verschiedene Politikbereiche öffentlich kommuniziert werden können.
Sowohl Öffentlichkeit, Wirtschaft als auch Politik haben lange Zeit hauptsächlich über den Repräsentativindikator „Wachstum des Bruttoinlandsprodukts“ „miteinander“ kommuniziert. Erfolge und Misserfolge von Regierungen hängen immer noch überwiegend an diesem Indikator. Aber viele Menschen merken angesichts der globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und wachsender sozialer Ungleichheit, dass das Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsmaß nicht mehr uneingeschränkt funktioniert. Andere Faktoren sind mindestens genauso wichtig.
Ein Nachhaltigkeitsindikatorenset mit 38 Indikatoren existiert mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie seit über zehn Jahren. Diese Indikatoren sind mit Zielwerten unterlegt und werden regelmäßig überprüft. Das vorgeschlagene „Wohlstandsindikatorenset“ fällt hinter den Nachhaltigkeitsindikatoren weit zurück. Es ist weder mit Zielwerten unterlegt, noch in einen institutionellen Rahmen eingebettet. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht sich für die
Stärkung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie mit dem dazugehörigen Indikatorenmodell aus. Darin ist bereits die gleichberechtigte Grundorientierung in den Dimensionen Ökologie, Soziales und Ökonomie sowie der internationalen Verantwortung folgerichtig angelegt. Derzeit mangelt es in Deutschland aber an der Umsetzung der Strategie. Es braucht mehr Anstrengungen, vor allem aber mehr Willen, die Nachhaltigkeitsziele im politischen Alltag umzusetzen.
Freiwillige Verpflichtungen sind gut, aber nur ein konsequenter Rahmen schafft faire Wettbewerbsbedingungen und fördert die Verwirklichung einer innovativen und zukunftsfähigen Lebens- und Wirtschaftsweise.
Das von der Enquete-Kommission in Auftrag gegebene Gutachten zur medialen Kommunizierbarkeit zeigt klar auf, dass ein Modell mit einer Vielzahl von Indikatoren medial nicht vermittelbar ist.
Ein einziger Repräsentativindikator als Alternative zum Bruttoinlandsprodukt, wie der unter der Leitung von Hans Diefenbacher entwickelte umfassende „Nationale Wohlfahrtsindex“, wäre hier konsequent. Auf Grund seiner aufwändigen Berechnung und der inhärenten Schätzwerte würde aber viel Zeit für seine Einführung und die erforderliche breite Akzeptanz nötig. Zudem ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, wo genau die Zielkonflikte liegen und somit Handlungsbedarf besteht.
Das Nachhaltigkeitsindikatorenset dient mit seinen 38 Indikatoren der Bewertung und Überprüfung von Politikmaßnahmen. Die Indikatoren sind aber kaum bekannt, da die Indikatorenvielfalt sich medial schwer vermitteln lässt.
Es geht also um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Vollständigkeit und Kommunizierbarkeit. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für ein repräsentatives Indikatorenmodell, das so vollständig wie nötig, aber so wenige Indikatoren wie möglich enthält. Dieses Kriterium erfüllt der „Wohlstandsindikatorensatz“ nicht. Bündnis 90/Die Grünen haben in den Beratungen in der Projektgruppe immer wieder darauf hingewiesen.
Der von der Projektgruppe 2 vorgelegte Gesamtbericht hat zunächst einen richtigen Ansatz über die Dimensionenbildung gewählt. Der Bericht erklärt aber nicht, warum jeweils mehrere Indikatoren pro Dimension nötig sein sollen. Es erschließt sich nicht, wozu die subjektiv gewählten Hinweis- und Warnlampen hilfreich sind. Dieses Modell ist weder politisch verwendbar noch kommunizierbar.
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