Wie der Kampf für Umwelt-, Natur- und Klimaschutz juristisch Erfolg haben kann
Veröffentlicht in RUNDBRIEF „Forum Umwelt & Entwicklung“ 1/2019
Die Erde hat nur wenige AnwältInnen. Dabei bräuchte unser Planet dringend eine wirksame Interessenvertretung. Denn hunderte wissenschaftlicher Studien und Analysen zeigen ein klares Bild: Wenn es nicht gelingt, sehr bald unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaften auf einen klimafreundlichen und nachhaltigen Pfad zu bringen, werden wir die ökologischen Grenzen unseres Planeten „sprengen“. Gutes Recht zu entwickeln und durchzusetzen ist daher vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse von größter Bedeutung für den Umweltschutz.
In aller Welt arbeiten Menschen daran, den nachhaltigen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft möglich zu machen: Sie verkleinern ihren eigenen ökologischen Fußabdruck, engagieren sich für den Umweltschutz vor Ort oder tun sich in großen nationalen und internationalen Umweltverbänden zusammen. Doch all das geht viel zu langsam! Denn die Kräfte des Bestehenden verfügen über viel Geld und können eine Armada von JuristInnen beschäftigen, um ihre Interessen durchzusetzen und Veränderungen zu verhindern.
Erst allmählich beginnen viele sich auch in Deutschland darüber klar zu werden, dass der Umweltschutz mit Hilfe des Rechts sehr viel mehr Durchsetzungskraft bekommt. Vor allem durch die Dieselklagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ist deutlich geworden, dass das Recht ein sehr scharfes Schwert sein kann, um die Rechte von Mensch und Umwelt durchzusetzen. Doch das Recht kann mehr. Tatsächlich machen Klagetätigkeiten nur ca. 10 Prozent der Aktivitäten von ClientEarth, eine Non-Profit-Organisation für Umweltrecht, aus. Aber sie machen natürlich „am meisten her“ – deshalb vermutlich der Eindruck, dass es vor allem auf Klagen ankommt.
Gutes Recht entwickeln
Dabei beginnt die juristische Arbeit schon bei der wissenschaftlichen Analyse des Problems. Denn nur wer die Problemlage gut kennt, wird in der Lage sein, angemessene Lösungen zu finden. Und JuristInnen sind gut darin, mögliche Lösungen in eine gesetzliche Form zu bringen. „Gute Gesetze schreiben“ ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben. Diese Gesetze müssen die richtige Form der Regulierung finden (reichen Informationen oder Anreize? Braucht es sanften Druck oder müssen Ge- oder Verbote her?) und sie müssen unterschiedliche Interessen und Rechte gegeneinander abwägen. So unterstützt ClientEarth beispielsweise die Regierungen in einigen westafrikanischen Staaten bei der Formulierung guter Gesetze zum Schutz der Wälder. JuristInnen können also die Erfordernisse der Naturwissenschaft (Empirie) in soziale, gesellschaftliche und staatliche Forderungen (Normen) übersetzen. Und sie können dafür sorgen, dass diese Gesetze auch möglichst konfliktfrei und effektiv umgesetzt werden.
Doch das Recht entwickelt sich nicht nur durch Gesetze und Verordnungen. Es entwickelt sich auch durch neue juristische Antworten auf Entwicklungen in Gesellschaft und Natur – und durch Gerichte, die diese neuen Antworten anwenden. Zum Beispiel werden neue „Rechtspersönlichkeiten“ entwickelt: Gerichte in Neuseeland und in Kolumbien haben entschieden, dass auch Flüsse Rechte haben und dass diese geltend gemacht werden können. Eine fantastische Entwicklung, die der Erde eine Stimme gibt! Immer öfter wird auch gefordert, dass Tieren Rechte zustehen sollen und dass sie klagebefugt sein sollen. Im Jahre 1988 hat das Verwaltungsgericht Hamburg die Klage ‚Robben der Nordsee gegen Bundesrepublik Deutschland‘ sehr deutlich abgelehnt,[1] doch finden Eigenrechte der Natur immer mehr BefürworterInnen. Als eine mildere Form des Umwelt-Rechtsschutzes wurde die sogenannte ‚Verbandsklage‘ entwickelt, mit der Umweltverbände die Rechte der Natur wahrnehmen.
Gutes Recht durchsetzen
Die Grundidee der Verbandsklage ist einfach: Umweltverbände sollen stellvertretend für die Natur deren Rechte geltend machen können. Zu diesem Zweck wurde ihnen eine besondere Klagebefugnis eingeräumt, nämlich schon dann, wenn „objektives Umweltrecht“ verletzt wird. Normalerweise dürfen Menschen (wie auch Unternehmen oder Vereinigungen) nur dann klagen, wenn sie in ihren „subjektiven Rechten“ verletzt sind, also z. B. ihr Eigentum oder ihre Gesundheit beeinträchtigt werden. Das ist naturgemäß nur selten der Fall – oft haben Umweltverbände deshalb Grundstücke an Tagebauen oder atomaren Endlagern gekauft, um als Eigentümer eigene Rechte wahrnehmen zu können. Seit Anfang der 2000er Jahre haben Umwelt- und Tierschutzverbände die Möglichkeit, die einfache Verletzung von Umweltrechtsnormen vor Gerichten geltend zu machen – es reicht also, wenn ein Gesetzesverstoß durch ein Unternehmen oder eine Behörde vorliegt.
Wichtigstes Instrument ist das ‚Umweltrechtsbehelfsgesetz‘ von 2006, das auf Grundlage der Aarhus-Konvention der Vereinten Nationen von 1998 erlassen wurde. Dieser geniale völkerrechtliche Vertrag hat zu einer kleinen Revolution in Deutschland geführt: BürgerInnen haben seither nicht nur einen Auskunftsanspruch gegenüber Behörden und Unternehmen über alle umweltrelevanten Tatsachen (‚Umweltinformationsgesetz‘), sondern auch Beteiligungsrechte bei Verwaltungsverfahren, und sie können als Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen sogar Klagerechte wahrnehmen.
Eine Untersuchung im Auftrag des Sachverständigenrates für Umweltfragen[2] hat ergeben, dass die Zahl der Verbandsklagen langsam ansteigt und im Zeitraum 2013 bis 2016 jedes Jahr durchschnittlich 35 Verbandsklagen eingereicht wurden. Allerdings machen diese Klagen mit 0,04 Prozent nur einen verschwindend geringen Anteil an den Verfahren vor Verwaltungsgerichten aus – so viel zu dem von KritikerInnen häufig vorgebrachten „Überschwemmungsszenario“. Zudem waren die meisten von ihnen erfolgreich, auch ein Hinweis darauf, dass diese Klagen nicht „missbräuchlich“ genutzt worden sind. Im weltweiten Vergleich wird in Deutschland immer noch kaum der Rechtsweg beschritten, um dem Umweltrecht zur Durchsetzung zu verhelfen. Aber so langsam werden die Möglichkeiten eines strategischen Einsatzes juristischer Instrumente besser wahrgenommen.
Die schon erwähnten „Dieselklagen“ haben am deutlichsten die Kraft des Rechts bewiesen: Weil die Städte die seit 10 Jahren bestehenden Vorschriften der Europäischen Union (EU) zur Luftreinhaltung nicht umgesetzt haben und die Messwerte vielfach die Mindestgrenzwerte überschritten, hatte die DUH (mit Unterstützung durch ClientEarth) dutzende Städte verklagt, weil sie die Gesundheit ihrer BürgerInnen nicht schützen. In allen Fällen wurde den Klagen von den Gerichten bisher stattgegeben, in vielen Fällen sogar Fahrverbote für Dieselfahrzeuge angeordnet. Diese Verfahren waren tatsächlich das Einzige, was die Bundesregierung und die Autoindustrie überhaupt zur Kenntnis genommen haben – eine perfekte Form der „Prozessführung im Allgemeininteresse“. Umso schändlicher, dass die CDU (im Verein mit der AfD) nunmehr zur Jagd auf die DUH bläst und ihr die Gemeinnützigkeit entziehen will. Auch Forderungen nach einer Einschränkung des Verbandsklagerechts werden laut. Dies wären jedoch schwerwiegende Angriffe auf den Rechtsstaat, der ja von der Rechtstreue der staatlichen Stellen und auch vom Vertrauen der BürgerInnen in deren Rechtstreue abhängig ist.
Gutes Recht weiterentwickeln
Das Recht hat sich in den letzten Jahren vielfach als sehr wirksames Instrument für den Umweltschutz erwiesen. Wo der Staat bestehende Gesetze zum Schutz von Umwelt und Gesundheit nicht durchsetzt, da können die Proteste der Zivilgesellschaft in kongenialer Weise durch juristische Verfahren unterstützt werden: Aus einer Auswertung der Klima-Allianz, einem Zusammenschluss von über 120 gesellschaftlichen Organisationen zum Klimaschutz, wird deutlich, wie viele geplante Kohlekraftwerke vor 5 bis 10 Jahren durch politische und juristische Kampagnen verhindert worden sind.[3] In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob sich das juristische Instrumentarium mit gleicher Wirkung auch gegen bestehende Kohlekraftwerke einsetzen lässt.
Eine weitere wichtige Funktion, nämlich die Weiterentwicklung des Rechts, lässt sich zudem bei den sogenannten „Klimaklagen“ beobachten: In den letzten Jahren wurde eine Verfassungsbeschwerde gegen Deutschland wegen unzureichenden Klimaschutzes eingereicht und mehrere Bauernfamilien haben Deutschland auf mangelnden Vollzug des Klimaschutzes verklagt. Zudem hat ein peruanischer Bauer eine Schadenersatzklage gegen RWE eingereicht und testet die Grenzen der Verantwortlichkeit eines Energieunternehmens für dessen Klimagase. Diese Klagen gründen nicht auf der Umsetzung von geltendem Recht, sondern zielen auf eine Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Daraus wird deutlich: Das Recht nimmt die Entwicklungen in der Weltgesellschaft auf und sucht nach juristischen Lösungen. Und alle BürgerInnen können es dabei unterstützen.
Prof. Dr. Hermann E. Ott
Der Autor ist Leiter des deutschen Büros der internationalen Umweltrechtsorganisation ClientEarth und lehrt als Honorarprofessor an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE).
[1] VG Hamburg (1988): Beschluss vom 22.09.1988 in NVwZ , 1058f – Robbenklage.
[2] Alexander Schmidt/Michael Zschiesche (März 2018): Die Klagetätigkeit der Umweltschutzverbände im Zeitraum von 2013 bis 2016, Studie im Auftrag des SRU.
[3] Stefanie Langkamp (o. D.): Die Anti-Kohle-Kampagne der Klima-Allianz Deutschland 2008-2013. https://www.klima-allianz.de/ueber-uns/erfolge/kohle-kampagne-rueckblick/.