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Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde,

2020 war ein Jahr wie kein anderes, da sind sich vermutlich alle einig. Und mit „alle“ meine ich wirklich alle – noch niemals in der Geschichte der (sich bewussten) Menschheit hat es eine Periode gegeben, in der praktisch alle Menschen auf dem Erdball dieselbe Erfahrung gemacht haben: ein Leben mit  Angst vor Ansteckung und großen persönlichen Einschränkungen, mit Maske, Abstand und Hygienekonzepten. Eine Folge der Globalisierung, die bisher – außer bei Pandemie- und Globalisierungsforscher*innen – kaum jemandem bewusst war. Mit etwas Glück wird diese Erfahrung auch ein stärkeres Bewusstsein für die Einheit allen Lebens auf der Erde schaffen. Und die Grundlage dafür legen, dass die globalen ökologischen Herausforderungen wie der Klimawandel, die Krise der Biodiversität und der Ozeane als das begriffen werden, was sie sind: eine Bedrohung allen – auch unseres – Lebens auf der Erde.

Für ClientEarth war 2020 ein rundum bemerkenswertes Jahr, in dem die Zahl der Mitarbeiter*innen auf über 220 gestiegen ist, in dem wir unsere Aktivitäten in Asien mit einem weiteren Büro (Singapur) ausgedehnt haben und unsere Fühler nach Südamerika ausgestreckt haben. Unsere Anwältinnen und Anwälte schützen weltweit Wälder und Meere, kämpfen gegen Kohle und eine hochindustrialisierte Landwirtschaft und sorgen mit juristischen Mitteln dafür, dass die Menschen ihr Recht auf saubere Luft und eine intakte Umwelt auch durchsetzen können.

Und ich bin sehr stolz, dass ClientEarth – Anwälte der Erde in Deutschland in hohem Maße zu dieser Dynamik beigetragen hat. Das erste Jahr 2019 war vom Aufbau der Organisation und der Akquise von Finanzmitteln geprägt (hier der Link zum letzten Newsletter). Dies war die Grundlage für die Einstellung von sieben neuen Mitarbeiter*innen im Jahr 2020 – alles per Videokonferenzen und ohne, dass sich das Team einmal als Ganzes getroffen hätte! Die Rekrutierung und Einarbeitung von Personal im Wesentlichen ohne persönliche Begegnung wird mir immer als besondere Herausforderung in Erinnerung bleiben. Zoom, Skype, etc. helfen enorm – eine der Denkwürdigkeiten, dass eine solche globale Pandemie erst dann über die Menschheit gekommen ist, als die technischen Möglichkeiten ihrer Bewältigung geschaffen waren…

Aber das Jahr 2020 war nicht nur von Personal- und Organisationsentwicklung geprägt, sondern auch von juristischen und politischen Erfolgen. Das Anti-Kohle-Team hat beständig für einen besseren und ambitionierteren Kohleausstieg gekämpft, mit juristischen Analysen öffentlich-rechtlicher Verträge und möglichen Konsequenzen des EU-Beihilferechts sowie mehreren Eingaben an die EU-Kommission. Meine Kollegin Ida Westphal war als Sachverständige in den Umweltausschuss des Bundestages zur Anhörung über das Kohlegesetz geladen – ein schöner Erfolg nach gerade einmal zwei Jahren Existenz in Deutschland. Wir unterstützen die Menschen im rheinischen Braunkohlegebiet gegen die Enteignung durch RWE im Zuge der Ausweitung des Tagebaus Garzweiler. In diesem Rahmen haben wir im letzten Jahr eine Verfassungsbeschwerde gegen das Kohlegesetz unterstützt, weil dort – man glaubt sich in einem schlechten Film – eine Klausel eingefügt wurde, die den Tagebau Garzweiler II als erforderlich für die Energiesicherheit bezeichnet. Und auch die Nachbarn rund um das gerade ans Netz gegangene Skandal-Kraftwerk Datteln IV werden von uns unterstützt.

Die internationale Klimapolitik hat 2020 eine Zwangspause eingelegt und die 26. Klimakonferenz (COP26) ist auf Ende 2021 verschoben worden, also dieses Jahr kein Konferenzbericht mit den Ex-Kolleg*innen vom Wuppertal Institut. Doch freue ich mich sehr, dass der Bericht meines letzten Projekts für das WI jetzt in der Schriftenreihe des Umweltbundesamtes erschienen ist: „Ansätze zur Ressourcenschonung im Kontext von Postwachstumskonzepten“ mit Wissenschaftler*innen des WI, des IÖW und des RWI. Ich meine, wir haben hier tatsächlich neue Pfade zur Lösung des Wachstumsdilemmas angedeutet sowie Brücken geschlagen zwischen Wachstumswahn und Wachstumskritik.

Die Lehre an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde war und ist natürlich in die virtuelle Welt verlegt. Das Thema unseres Masterkurses könnte jedoch die Realität nicht besser abbilden: „Global Change Management“. Doch für viele Studierende ist es hart – manche konnten nicht einmal aus ihren Heimatländern kommen. Und die Tätigkeit im Präsidium des Deutschen Naturschutzrings (DNR) zeichnete sich dadurch aus, dass wir zwar kürzere Video- als analoge Sitzungen hatten, dafür aber viermal so viele…

Im Neuen Jahr 2021 werden wir die juristische Arbeit auf neue Bereiche des Umwelt- und Klimaschutzes ausdehnen: Dank größerer Spenden konnten wir im letzten Jahr zwei sog. „Scoping Studies“ zum Waldschutz und zur Landwirtschaft durchführen. Darin haben wir mit Hilfe von Fachleuten und Jurist*innen die besten Wege eruiert, unsere Wälder zu schützen und die Natur vor den zerstörerischen Wirkungen der agro-industriellen Landwirtschaft zu bewahren. Im Bereich des Waldschutzes haben wir den Kampf gegen illegale Kahlschläge im Zuge der „Bereinigung“ von Dürreschäden als erste wichtige Maßnahme identifiziert. Die Studie zur Landwirtschaft wird im ersten Quartal 2021 fertig werden, erste Ergebnisse zeigen aber schon jetzt: Würden die EU-Gesetze wirklich angewendet, wäre die jetzige Form der hochintensiven Viehhaltung in Deutschland nicht möglich. Und ein weiteres Ergebnis ist absehbar: Der Tierschutz und die Nutzung von Tierrechten bieten bislang ungenutzte juristische Chancen. Letzteres ist für mich besonders wichtig, denn ich bin fest davon überzeugt, dass sich das Recht im 21. Jahrhundert fortentwickeln muss – nämlich hin zu einer Ordnung, die auch nicht-menschlichen Geschöpfen (und vielleicht der Natur selbst) eigene Recht einräumt.

Die zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts haben eine unvermutete Wendung genommen. Die Pandemie wirkt wie eine Vorübung in gesellschaftlicher und staatlicher Krisenbewältigung angesichts kommender ökologischer Krisen. Wird es eine Rückkehr zur Normalität geben? Und wie normal war das eigentlich? Werden wir die Chance ergreifen, innezuhalten und die Rolle des Menschen im Zusammenspiel mit den ökologischen Systemen – also mit der Natur – neu zu definieren? Oder werden wir den „Tanz auf dem Vulkan“ wieder aufnehmen, sobald die Pandemie vorbei ist?

Als Jurist, als Wissenschaftler, als Streiter der Zivilgesellschaft, als politischer Mensch und als Großvater werde ich mein Bestes geben, um die Krise – mit Ihnen und Euch – zu einer Chance zu machen. Ich wünsche allen von Herzen ein gutes Neues Jahr 2021!

Ihr / Euer

Prof. Dr. Hermann Ott

Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender ClientEarth – Anwälte der Erde

Albrechtstrasse 22, 10117 Berlin

Mail: hott@clientearth.org
Web: www.de.clientearth.org
Private Webseite (mit früheren Jahresberichten): www.hermann-e-ott.de


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Posted in: Allgemein.
Last Modified: Januar 14, 2021